Ein Interview mit Franz Alt
Gorbatschow am Zukunftsprozess
Gorbatschow: „Deutschland wird Öko-Weltmacht“
Peter Ustinov hat ihn einmal als „den wichtigsten Menschen des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Inzwischen ist er 76 Jahre alt und noch immer kommen Tausende in aller Welt zu seinen Vorträgen.
Auch am letzten Wochenende wollten 2.000 Menschen Michail Gorbatschow in der Bochumer „Jahrhunderthalle“ auf einem Zukunftskongress hören. Er sprach zum Thema „Die Schöpfung bewahren – Ein neuer Umgang mit der Zukunft“.
Nach dem Glasnost- und Perestroika-Politiker, dem Präsidenten der alten Sowjetunion, dem Ermöglicher der Deutschen Einheit 1990/1991 und dem Friedensnobelpreisträger, erlebten die Besucher jetzt einen neuen, den grünen Gorbatschow.
In Deutschland weiß kaum jemand, dass Gorbatschow Gründer der Umweltorganisation „Internationales Grünes Kreuz“ ist und für die UNO zusammen mit Wissenschaftlern aus der ganzen Welt eine „Erdcharta“verfasst hat. Darin beschwört der nordkaukasische Bauernsohn die Einheit von Ökologie und Ökonomie. „Wir müssen endlich lernen, an künftige Generationen zu denken. Aber heute zerstören wir durch die globale Erderwärmung die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Durch die Klimakatastrophe kommt auch eine Wasserkatastrophe auf die ganze Welt zu. Schon heute sterben täglich 15.000 Menschen durch Wassermangel. Und es werden noch viel mehr – wir brauchen eine neue Wasserethik“, sagte er seinen Zuhörern in Bochum.
Es war unsere fünfte persönliche Begegnung seit 1997. Seine Schlagfertigkeit hat er auch mit 76 Jahren noch nicht verloren. Über George W. Bush sagt er ganz undiplomatisch: „Weil er Kraft hat, glaubt er seinen Verstand nicht nutzen zu müssen.“
Nicht nur der Irak-Krieg und die Spannungen zwischen USA und Iran, auch „das Chaos im Nahen Osten und vor allem die ökologischen Gefahren“ machen dem Grandseigneur der Weltpolitik große Sorgen: „Frische Luft, sauberes Wasser, gute Böden und gesunde Wälder werden immer knapper. Wir müssen endlich umsteuern.“
„Aber die USA unter diesem Präsidenten nehmen ihre Verantwortung für den Klimawandel einfach nicht ernst. Wie kann man von China und Indien eine Klimaschutzpolitik erwarten, wenn die größten und reichsten Energieverbraucher in den USA Klimaschutz ignorieren?“
Als wir uns für eine Fernsehsendung 1997 zum ersten Mal begegneten, fragte ich ihn: “Sie haben das Sowjetreich zerstört und am Schluss auch Ihre politische Macht verloren, bereuen Sie Ihren Weg?“ Gorbatschow fragte zurück: “Was bedeutet politische Macht, wenn sie nicht dem Volk dient? und fügte hinzu: “Ich würde alles noch einmal so machen. Seine Frau Raissa, promovierte Soziologin, nickte damals zustimmend. “Ohne meine Frau hätte ich die Politik von Perestroika und Glasnost nicht durchgehalten“, sagte Gorbatschow und lächelte sie an.
Das Ehepaar Gorbatschow war ein Liebespaar, das sich gegenseitig inspirierte. “Der wache Geist und die weibliche Intuition Raissa Maximownas, ihre unmittelbare Anteilnahme an all meinem Tun und Lassen waren von unschätzbarer Bedeutung“, erzählt Gorbatschow. “Wir wussten immer, wie es dem anderen auch beruflich geht, freuten uns über seinen Erfolg und nahmen uns auch die Rückschläge des anderen so zu Herzen, als wären es die eigenen.“ Im Herbst 1999 starb Raissa an Leukämie. Die Fernsehbilder, wie Gorbatschow seiner toten Liebe im offenen Sarg zart die Wangen streichelt, sind unvergessen. Jetzt, am Wochenende in Bochum, erzählt er: „Raissa und ich haben uns an der Universität Moskau kennengelernt. Unser Hochzeitsessen war in der Mensa der Uni. Mehr konnten wir uns nicht leisten. Es gab Heringe.“
Woher nimmt er heute nach dem Tod seiner Frau Energie und Kraft für seine Arbeit weltweit? Wo tankt er nach einem hektischen Wochenende wie dem letzten in Deutschland auf? „Im russischen Wald so wie ein religiöser Mensch in seiner Kirche. Zur Natur laufe ich mit meinen Beschwernissen wie ein Kind zu seiner Mutter.“ Der Agnostiker kommt ins Schwärmen und spricht plötzlich von der „Schönheit der Natur“, von „Wundern“, von „Stille“, vom „Glück in Großvaters Zaubergarten mit den vielen Obstbäumen“ und von den „wogenden Kornfeldern in der Stawropoler Steppe im Kaukasus Ende Juni“.
Es war dieser kraftvolle Michail Gorbatschow, der die Gefahr eines Atomkriegs bannte und den Kalten Krieg beendete. Heute sagt er wieder sorgenvoll: „Wenn wir die Atomwaffen nicht vollends abschaffen, könnten sie eines Tages uns abschaffen.“
Das Reaktorunglück von Tschernobyl im April 1986 ereignete sich während seiner Regierungszeit. “Es war ein Menetekel“, sagte Michail Gorbatschow in einer meiner Fernsehsendungen. „Niemals zuvor war die Welt in einer solchen Lage.“ Er selbst hatte den Fachleuten vertraut, die ihm erklärten: “Wir haben die sichersten Atomkraftwerke der Welt.“
Heute sagt er: “Aber wirklich sichere AKWs kann es gar nicht geben. Das ist die Lehre von Tschernobyl: Ein Kernreaktor verzeiht keine Fehler. Das gilt natürlich auch für deutsche Atomkraftwerke.“
Die Liebe zur Landwirtschaft hat der Bauernsohn von seinen Großeltern, bei denen er als Kind lebte. “Heimat“, sagt er, “ist die Anknüpfung des eigenen Schicksals an das der Vorfahren und ihrer Region.“
Dann kommt unser Gespräch auf die deutsche Bundeskanzlerin. „Deutschland hat die Chance, unter Angela Öko-Weltmacht zu werden. Ihr Format als Weltpolitikerin hat sie soeben in Heiligendamm und auf dem EU-Gipfel bewiesen. Europa stand am Abgrund. Jetzt gibt es dank Angela wieder Hoffnung auf Zukunft.“ „Hoffnung auf Zukunft“ ist eines seiner Lieblingswörter geworden. „Ich denke an meine Enkelin und an ihre Zukunft“, betont er nachdenklich.
Gorbatschow nennt seine Erd-Charta “Die Zehn Gebote für heute. Ein ökologisches Neues Testament. Um ökologisches Wirtschaften zu lernen. Und das heißt: „Nicht mehr gegen die Natur, sondern mit der Natur.“ Sein „Grünes Kreuz“ arbeitet in 30 Ländern. Es setzt sich für sparsame Energieverwendung, den Kampf gegen die Ausbreitung der Wüstengebiete ein, für erneuerbare Energien und für eine neue Wasserpolitik. “Wir brauchen eine planetarisch-ökologische Bewusstseinsrevolution“, hat er in Bochum unter Beifall ausgerufen.
Im persönlichen Gespräch fügt er hinzu: “Mit dem Umweltschutz habe ich das Thema meines Lebens gefunden.“ Er bleibt ein idealistischer Realpolitiker. Mit dieser humanen Philosophie hat er schon einmal die Welt zum Besseren verändert.
Quelle:
Franz Alt 2007