ein Artikel zum 1. Mai von Franzobel im Standard, 27.4.2013
Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es nur noch eine Lösung gibt: Nieder mit der Arbeit. Arbeit ist wider die Natur, wider das Vergnügen. Arbeit ist unverschämt, frivol. Daher: Jawohl, schaffen wir sie ab. Gründen wir die Partei der Nichtarbeit, die PANDA. Rücken wir die Arbeit aus dem Zentrum unserer Existenz. Machen wir etwas anderes. Machen wir uns von der Arbeit los, arbeitslos.
Es geht doch darum, frei zu sein. Frei von Sklaverei. Frei von Zwängen. Sind wir das? Nein. Wir sind die Sklaven der gemachten Bedürfnisse, die Sklaven unserer Telefone, E-Mail-Accounts, Kreditkarten, Sozialversicherungen, Elternvereine, Aktien-Portfolios, Lebenskonzepte und Weiß-der-Teufel. Wir sind nicht minder versklavt als die Leibeigenen vergangener Jahrhunderte.
Hat die Arbeit uns freigemacht? Nicht einmal FKK hat uns freigemacht. Und schon gar nicht die Freizeit. Seit Karl Marx ist die Arbeit primäres Lebensbedürfnis. Was machst du, ist die erste Frage, die wir neuen Bekannten stellen. Was arbeitest du? Bist du nützlich? Die Arbeit steht im Zentrum des Daseins. Arbeit. Arbeit. Arbeit. Wegen der Arbeit spielen wir nicht mit unseren Kindern, haben keine Zeit für Freunde, genießen unser Leben nicht, essen schnell, billig und schlecht, sind wir nicht mehr eins mit der Natur, schlafen kaum, sind gehetzt. Sogar mit unserem Körper sind wir unzufrieden, weil wir zu wenig abgearbeitet haben.
Arbeit, das ist Karriere, Kaufkraft, Konsum, Seelenheil – der gemeinsame Nenner aller erfolgreichen Ideologien. Alles wird zur Arbeit: Sex, Eitelkeit, Krankheit, Essen, Sterben, die Summe aller Sünden. Schon die Kleinkinder werden rasch (am besten noch im Bauch) an den Arbeitsalltag gewöhnt. Aufstehen, das Haus verlassen, erst abends wieder zurück.
Arbeit, das sind wir – und sonst nichts mehr. Aber Arbeit ermüdet, und wir sind nicht dafür geschaffen. Kein Lebewesen verbringt die meiste Zeit seines Daseins mit Arbeit, die nichts mit seinem Heim, seiner Nahrung oder seiner Familie zu tun hat. Wir Menschen schon. Da spielt es gar keine Rolle, ob wir in einer Tierfarm toten Enten die dünne Wachssicht zur Entflaumung abziehen, in der Küche eines All-inclusive-Hotels grenzwertige Produkte verarbeiten, als Leiharbeiter im Versandhandel beschäftigt sind und Bücher verpacken oder diese Bücher lesen, um Rezensionen darüber zu schreiben. Arbeit bleibt Arbeit – und dass man bei der Kreativarbeit mehr bei sich ist als in der Putzkolonne, ist vielleicht nur eine Mär der modernen Gesellschaft. Eine Mär derer, die noch immer für sich arbeiten lassen.
Arbeit macht frei? Kein Satz wurde je so pervertiert. Wegen Arbeit ist niemand freigekommen, aber Hunderttausende sind umgekommen. Gilt also der Umkehrschluss? Arbeit macht nicht frei, sie vernichtet. Arbeit hat uns gebändigt, willenlos gemacht. Arbeit demütigt, macht klein. So pervers das ist, muss man auch noch dem dankbar sein, der sie einem gibt. Verrückt!
Faulsein ist wunderschön
Bereits Karl Marxens Schwiegersohn Paul Lafargue hat die Konsequenz aus dieser alles umfassenden "Verarbeitung" gezogen und ein Lob der Faulheit geschrieben. Es gibt Eichendorffs Taugenichts, den Oblomow und viele andere Helden der Trägheit. Selbst Pipi Langstrumpf singt, Faulsein ist wunderschön. Aber heute gilt der Fleißige – sonst keiner. Fleißig, Tunnelblick und am besten für alles andere blind. In den 1980er-Jahren war es noch ein Lebensziel, so viel zu arbeiten, dass man eines Tages nicht mehr arbeiten muss. Dieser Tag ist längst eingetreten, aber mit der Arbeit aufgehört hat niemand. Man ist süchtig nach ihr geworden. Man hat Angst, dass man mit ihr den Lebenssinn verliert.
Jetzt ist es so, dass, egal wie gut es uns auch geht, wir nicht zufrieden sind, weil wir noch etwas zu arbeiten haben. Die Zeit arbeitet für uns? Nein, wir arbeiten für die Zeit, dafür, dass sie vergeht, wir uns leisten können, dass man sie uns vertreibt. Für die nutzlose Freizeit gibt es professionellen Zeitvertreib. Zeit, heißt es, ist Geld. Und Geld arbeitet. Aber nicht für uns. Wir sind es, die den Wohlstand erarbeiten, den man in den vergangenen 60 Jahren gelebt hat. Auf unsere Kosten hat die Vergangenheit stattgefunden. Oder ist es umgekehrt? Leben wir auf Kosten unserer Nachfahren?
Arbeit ist die neue Tugend, sagt man, dabei richtet sie nichts als Schaden an. Die meiste Arbeit dient doch dazu, etwas anders erscheinen zu lassen, als es ist. Arbeit ist Verschleierung. Ein Teil der Arbeit tut ja nur so, als ob sie Arbeit wäre – und die andere, die wirkliche Arbeit, bläst etwas auf zur Unwirklichkeit, macht es größer, als es ist. Darum sage ich: Arbeit ist Schwindel! Betrug!
Wir haben hart daran gearbeitet, als gute Gesellschaft zu erscheinen. Es gibt nichts Böses mehr. "Nazi" ist zum Schimpfwort verkommen. Taliban-Transen. Osama bin Hitler, Adolf Kim Laden. Alles Böse wird verdrängt und in die paar verbliebenen Schurkenstaaten hineinverlagert – das sind übrigens die, die gegen die Arbeit sind, die unsere Arbeitswelt bedrohen, weshalb wir manchmal fast so etwas wie Sympathie für sie empfinden. Sympathie für die Vernichtung, die Auslöschung, die Zerstörung aller Arbeit. Im tiefsten Inneren ahnen wir, dass wir die Arbeit nicht brauchen, sondern von ihr missbraucht werden. Das System der Arbeit ist der Sündenfall. Die Arbeit ist das Böse.
Es sind längst nicht mehr die Arbeiter, die sich über Arbeit definieren, sondern die Manager, die Menschen in den Führungsebenen. Je weniger sich jemand die Finger schmutzig macht, desto mehr spricht er von offenen Baustellen. Heute sind es die Manager, die etwas aufbauen, nicht mehr die Bauarbeiter, nicht einmal die Vorarbeiter, schon gar nicht die Schwarzarbeiter. Heute wird jedes Bild, das wir zu sehen kriegen, nachbearbeitet. Es gibt nichts Unbearbeitetes mehr – das ist bedenklich.
Arbeit hat uns abgestumpft
Je weniger sich jemand in diesen Arbeitsprozess einfügt, desto beunruhigender wirkt er auf die Gesellschaft. Niemand regt mehr Volkszorn an als der Arbeitsverweigerer, der Sozialhilfeempfänger, der auch noch stolz auf sein Nichtstun ist. Ein Obdachloser, der eine Zeitung verkauft, fügt sich in das System ein. Auch ein Bettler gehört noch dazu. Selbst im Gefängnis wird gearbeitet, Asylbewerber wollen mitarbeiten an der Gesellschaft, dazugehören. Nur wer arbeitet, hat eine Lebensberechtigung. Das ist nicht mehr pietistisch oder christlich, sondern faschistisch. Arbeit ist unser neuer Führer, unsere neue Religion, auch wenn sie sinnentleert, entfremdet und nutzlos ist. Es muss gearbeitet werden, und zwar immer, auch nach Ladenschluss, selbst am Sonntag – nur am Tag der Arbeit, einem Relikt aus einem anderen Klassenbewusstsein, nicht. Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, wird in Folklore aufmarschiert.
Die Arbeit hat uns abgestumpft. Mitleid zu zeigen ist uncool. Zynismus ist schick. Ich fordere daher noch einmal: Schafft die Arbeit ab. Was bedeutet Arbeit? Etymologisch? Unterbrechung der Muße. Nicht einmal die Sklaven im alten Rom haben mehr als 30 Stunden in der Woche gearbeitet. Und wir? 60? 80? Na sehen Sie!
Ich fordere Sie auf, reinigen Sie sich, befreien Sie sich von den Produkten der Arbeit. Zeigen Sie, dass Sie dieses frivole System nicht länger unterstützen. Überweisen Sie der PANDA all ihr Geld, weil Geld ist gestockte Arbeit. Verkaufen Sie Ihren Besitz, weil Besitz ist festgewachsene Arbeit. Kündigen Sie! Lassen Sie sich scheiden. Lassen Sie alles hinter sich. Ziehen Sie sich aus. Überweisen Sie den Erlös der PANDA. Nützen Sie die Gelegenheit! Treten Sie der PANDA bei, der Einmannpartei für alle, der Partei der Nichtarbeit.
Und wenn Sie jetzt denken, dass die PANDA sich bereichern will, erzähle ich ihnen Folgendes: Bhagwan, der sich in seinem letzten Lebensjahr Osho nannte, besaß eine Flotte von 93 identen Rolls-Royce. Er ist dafür von westlichen Medien oft kritisiert worden. Kaum jemand hat gemerkt, dass es sich hierbei um eine Satire auf Besitz handelt, die dem Besitzer keinerlei Vorteil bringt, weil, ob er jetzt 17-mal oder 71-mal oder 711-mal das gleiche Gefährt besitzt, ist doch egal, oder? Jedenfalls bringt es nichts, weil man als Einzelner immer nur mit einem Auto fahren kann. Und wenn alle gleich sind, ändert sich auch nichts, außer dass man mehr Steuern zahlt. Bhagwan hat es also auf sich genommen. So wie es die PANDA auf sich nimmt.
Es war ein schöner Gedanke des 19. Jahrhunderts, den Besitz abschaffen zu wollen. Das 20. Jahrhundert hat ihn leider komplett ad absurdum geführt. Aber heute? Heute können wir an eine Welt denken, in der niemand mehr arbeiten muss. Leider sind wir nicht im Geringsten darauf vorbereitet. Weil Arbeit macht erst frei, wenn wir uns davon freigemacht haben. Bis es so weit ist, unterstützen Sie PANDA, singen Sie mit mir das alte Pipi-Langstrumpf-Lied "Faulsein ist wunderschön". Und jetzt genug. Schluss. Applaus. Und zurück an Ihre Arbeit.
Franzobel, Album, DER STANDARD, 27./28.4.2013, www.derstandard.at
Der Text ist auf Geheiß von Karl Baratta für das Wiener-Festwochen-Projekt "Unruhe der Form" entstanden.
Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck als Franz Stefan Griebl, lebt als freier Autor und Schriftsteller in Wien. Er studierte zunächst Germanistik und Geschichte und war bis 1991 bildender Künstler. Franzobel erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter 1995 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher " Österreich ist schön. Ein Märchen" (Zsolnay-Verlag, 2009) und "Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind" (Zsolnay-Verlag, 2012).